Deutsche Teilung, Mauerfall, Wende: Gräfenthaler Schüler befragen ihre Eltern
Gräfenthaler Regelschüler haben in einem Schulprojekt zu deutscher Teilung, Mauerfall und Wende ihre Eltern und Großeltern interviewt. Diese Gespräche verliefen teils sehr emotional.
OTZ-Artikel (05. Juni 2019 / 02:44 Uhr)
Gräfenthal. Gerade 15 und 16 sind die Jugendlichen, die kurz vor ihrem Realschulabschluss stehen. Geboren nach der Jahrtausendwende in einem offenen Europa, kennen sie Kalten Krieg und Eisernen Vorhang nur aus Medienberichten und natürlich dem Schulfach Geschichte.
In ihm bearbeiteten 17 Zehntklässler der Gräfenthaler Regelschule „Christoph Ullrich von Pappenheim“ jetzt ein besonderes Unterrichtsprojekt mit dem Titel „30 Jahre Mauerfall“, um diesen Teil deutscher Geschichte für sich selbst und andere greifbarer zu machen.
„Die Schüler haben Zeitzeugeninterviews mit ihren Eltern und Großeltern geführt und sie über ihre Erinnerungen an die DDR-Zeit befragt“, erklärt Geschichtslehrer Sven Fiedler, der die Idee für das Projekt hatte. Auf Diktiergerät aufgezeichnet, wurden die sieben Interviews später transkribiert und aufbereitet sowie jedes mit einem individuellen Titel versehen. „Als morgens mein Wecker klingelte, war die Mauer schon gefallen“ oder „Endlich in Freiheit!“, heißt es da unter anderem.
Schritt zwei des zweitägigen, benoteten Projekts war, die Plakate für die Ausstellung in der Schule zu gestalten. Auf fünf Schautafeln haben die Schüler die deutsch-deutsche Teilung und den Mauerfall zunächst allgemein dargestellt und außerdem jedem ihrer Interviewpartner eine Collage mit den Fragen und Antworten gewidmet.
Persönliche Dokumente der Menschen, wie Reisepässe oder FDJ-Ausweise, untermalen die Plakate zeitgeschichtlich. Einige haben den Schülern für die Ausstellung auch private Fotos überlassen, etwa Jugendporträts oder Schnappschüsse vom ersten Westbesuch im Trabant. Wo die Gesprächspartner keine privaten Aufnahmen hatten oder herausgeben wollten, illustrieren allgemeine Fotos aus der DDR-Zeit die Plakate. Dabei bedienten sich die Schüler des Internets und auch OTZ-Rückblicken zu den Wendejubiläen.
„Zudem haben wir das Schicksal direkt von der Grenze betroffener Orte wie Gräfenthal, Probstzella und Lichtenhain herausgearbeitet“, sagt Fiedler. So widmeten sich die Arbeitsgruppen auch dem ehemaligen Grenzbahnhof in Probstzella, der Grenzöffnung am Falkenstein und dem Wesen des Überwachungsstaates DDR. Schüler mit Migrationshintergrund, die in der Region keine Verwandten mit Erinnerungen an die damalige Zeit haben, schlossen sich anderen Mitschülern an.
Zuvor nahm die Klasse das Thema theoretisch im Unterricht durch, doch Sven Fiedler wollte Abwechslung von der klassischen Stoffvermittlung und „handlungsorientiertes Lernen“, wie er sagt. Die Idee, eigene Familienmitglieder zu befragen, wuchs heran.
Die jüngsten Eltern von Fiedlers Schützlingen haben ungefähr sein Alter; der Pädagoge ist Jahrgang 1982 und hat anders als die Mädchen und Jungen seine ganz persönlichen Erinnerungen an den Umbruch ‘89. „Ich war dabei, als der erste Sonderzug von Probstzella nach Ludwigsstadt fuhr“, sagt er. „Eine fremde Frau auf der Straße schenkte mir fünf D-Mark und ich bekam dafür von meinen Eltern im Spielzeuggeschäft ein Matchbox-Auto.“
Was seine Schüler von ihren Verwandten erfuhren, auch unabhängig von der Wendezeit, überraschte sie oft. „Ich wusste zum Beispiel nicht, dass meine Vorfahren Heimatvertriebene waren“, sagt Louisa Stammberger. „Durch das Projekt konnte ich mich viel besser in diese Zeit hineinversetzen“, findet sie. Zwar sprach sie manchmal mit ihren Eltern über die DDR, „aber nie in dieser Tiefe.“
Louisas Mitschülerin Janina Seifferth erlebte ihre Oma beim Interview überraschend emotional. „Während des Erzählens kamen viele Erinnerungen bei ihr hoch, schöne und traurige. Man hat ihr angemerkt, dass diese Zeit noch immer lebendig ist.“
Jonas Rössel hingegen erfuhr von seinem Vater aus erster Hand von heute kaum mehr vorstellbaren Lebensmittelengpässen, Anstehen für Südfrüchte, Unsicherheit und einem folgenreichen Brief: „Mein Vater war ja bei der NVA. Nachdem er in einem Brief an meine Mutter das System hinterfragt hatte, wurde er an die Grenze versetzt.“ Auch bei Jonas hat das Projekt bleibenden Eindruck hinterlassen.
Interessierte können die Ausstellung nach Anmeldung im Sekretariat unter Telefon 036703/80203 besichtigen.
Robin Kraska / 05.06.19